Alpbach (OTS) – Psychische Erkrankungen nehmen rapide zu. Zwar wirkte die Coronapandemie auch in diesem Fall als Booster, allerdings könne man die Ursachen nicht monokausal sehen, erklärt Univ.-Prof. Dr. Christoph Pieh im Rahmen der Auftaktkeynote „Präventionskonzepte für mentale Gesundheit“ der 10. PRAEVENIRE Gesundheitsgespräche in Alpbach. Wie es um die psychische Gesundheit bestellt ist, zeigt sich schon im Alltag: 8 von 10 Personen geben an, häufig gestresst zu sein. 3 von 10 sind sogar täglich gestresst. Ursache ist oftmals die Arbeit, wobei Arbeitslose deutlich mehr gestresst sind – ein Phänomen, das, so Pieh, noch nicht restlos geklärt ist. Ein weiterer Stressfaktor seien zudem die zu hohen Erwartungen an sich selbst. Wie eine große US-Studie mit 35.000 Personen zeigt, liegt das Optimum an Freizeit bei 2,5 Stunden – wird dieses über- oder unterschritten, steigt der Stresslevel.
Fehlendes Wissen über psychische Gesundheit
Auch wenn es in der Wissenschaft unumstritten ist, dass Bewegung, gesunde Ernährung und Verhalten die psychische Gesundheit positiv beeinflussen, fehlt dieses Wissen weitgehend in der Bevölkerung, so auch das Bewusstsein um die Eigenverantwortung in diesem Bereich. Die fehlende Gesundheitskompetenz führt zudem auch zu einer Stigmatisierung psychisch erkrankter Menschen und Betroffene suchen aus Scham erst spät Hilfe. Dabei ist es wichtig, über psychische Probleme offen zu sprechen. Auch mit dem weit verbreiteten Irrglauben, dass man über Suizid nicht sprechen soll, um nicht noch mehr Menschen auf suizidale Gedanken zu bringen, müsse dringend aufgeräumt werden, so Pieh.
„Vielmehr sollten wir uns auf die Früherkennung psychischer Erkrankungen fokussieren“, betont Pieh. Hier müsse man schon früh ansetzen, da sich die meisten psychischen Erkrankungen schon im ersten Lebensdrittel zeigen. In Österreich liegt die Dauer zwischen ersten Symptomen und einer fachlichen Diagnose bei mehreren Jahren – selbst bei ausgeprägten Erkrankungen wie Schizophrenie dauert es im Schnitt ein Jahr.
Mehr Bewegung, weniger Handy
Zwischen 2014 und 2019 hat die Bewegung in der Gesamtbevölkerung um 24 Prozent abgenommen. Im gleichen Zeitraum hat sich die Zahl der Jugendlichen, die keine Bewegung machen, von 7 Prozent auf 15 Prozent mehr als verdoppelt, so Pieh. Dabei sei Bewegung aber ein massiver Faktor gegen psychische Erkrankungen. Menschen ohne Bewegung entwickeln zu einem hohen Prozentsatz psychische Erkrankungen, die sich im Verlauf vom Kindes- ins Erwachsenenalter chronifizieren. „Wie Studien belegen, bewirkt eine tägliche Bewegungseinheit in den Schulen bei 50 Prozent der Teilnehmenden eine Steigerung des Wohlbefindens, bei 60 Prozent verbesserten sich der Schlaf und die Konzentration“, so Pieh.
Mindestens genauso wichtig für die psychische Gesundheit ist die Screentime an Mobilgeräten, insbesondere durch die Nutzung Sozialer Medien. Denn diese fördern die Vereinsamung und schüren durch den permanenten Vergleich mit anderen ein unrealistischen Selbstbild. In Österreich liegt die durchschnittliche Nutzungsdauer bei Kindern und Jugendlichen bei 4 bis 9 Stunden pro Tag. Durch jede Stunde, die man diese Anwendungen nutze, steige die Wahrscheinlichkeit, eine psychische Erkrankung zu entwickeln, um 10 Prozent. Wie Britische Schulen zeigen, bewirke ein Handyverbot in Schulen eine deutliche Verbesserung der Schulnoten.
Zusammenfassend sieht Pieh eine Förderung der Bewegung, aber auch die Vermittlung von Gesundheitskompetenz vom Volksschulalter an als unerlässlich, um die psychische Gesundheit zu verbessern. „Es wäre sinnvoll, psychologische Untersuchungen in Form eines Screenings an den Schulen durchzuführen und die Vorsorgeuntersuchung auf psychische Erkrankungen zu erweitern“, mahnt Pieh den Willen zur Prävention ein.
Bewegung und Prävention
„Bewegung muss wie Zähneputzen zur Selbstverständlichkeit werden“, appelliert Mag. Monika Peer-Kratzer, Landesverbandsvorsitzende in Tirol von Physio Austria zu Beginn des Talks über Bewegung und Prävention. Sie verweist auf den Rechnungshofbericht aus dem heurigen Jänner, der erstmals seit Jahren einen Rückgang der gesunden Lebensjahre aufzeigte. Wobei Österreich hier generell Nachholbedarf habe. Die Physiotherapie könne hier im Bewegungsbereich wertvolle Hilfestellungen geben. So ließe sich mit einfachen Tests beispielsweise die Sturzgefährdung bei älteren Menschen ermitteln und mit gezielten Präventionsübungen das Risiko deutlich verringern. „Aus Sicht der Physiotherapeut:innen wäre es sinnvoll, schon im Säuglingsalter einen Mobilitätscheck durchzuführen und Eltern entsprechend über Bewegung aufzuklären. Hier wäre der Wunsch, dies in den Eltern-Kind-Pass zu integrieren“, so Peer-Kratzer.
„Wenn man die knapp über 2 Mrd Euro, die in Österreich für Prävention werden, analysiert, zeigt sich, dass der Löwenanteil von 1,7 Mrd Euro in den Bereich Rehabilitation fließt. 250 Mio Euro werden für Maßnahmen der Sekundärprävention verwendet und nur 300 Mio Euro fließen in die eigentliche Primärprävention, mit Bewegung, Ernährung, Impfen etc“, legt Dr. Alexander Biach, Direktor Stellvertreter der Wirtschaftskammer Wien, dar. Das sei zu wenig. Problematisch sei, dass die Österreicher:innen „Vorsorgemuffel“ seien. Nur 15,1 Prozent der Gesamtbevölkerung nehmen das Angebot der Vorsorgeuntersuchung in Anspruch.
Auch Biach greift die alarmierenden Zahlen des Rechnungshofes aus dem Jänner 2023 auf, die zeigen, dass die Anzahl der adipösen Patient:innen in Österreich in den letzten fünf Jahren um 4 Prozent gestiegen ist. Mittlerweile sind 51 Prozent der Österreicher:innen über 15 Jahre übergewichtig. Verwunderlich sei dies nicht, da nur 1/3 der Bevölkerung die Minimumstandards an Bewegung erreichen, die von der WHO angeraten werden. Auch von öffentlicher Seite wurde das Thema Bewegung schleifen gelassen, so Biach. So forderte die WHO zwar 2002, dass die Mitgliedstaaten entsprechende Konzepte vorlegen sollten – in Österreich gab es diese erst 10 Jahre später. Eingang in die Zielsteuerung Gesundheit fanden diese überhaupt erst 2019 in Form des Aktionsplans Bewegung, in den die Sozialversicherungen nicht einmal eingebunden waren. Es müssen die Kräfte deutlich besser koordiniert werden, appelliert Biach.
„Bewegung ist Leben“, betont Univ.-Prof. Dr. Stefan Nehrer, MSc., Dekan der Fakultät für Gesundheit und Medizin an der Donau Universität Krems. „Mit 100 bis 300 Minuten Bewegung pro Woche lässt sich die Mortalität in fast allen Erkrankungen signifikant senken“, so Nehrer. Der Bewegungsmangel lasse sich auch an den Artrosebeschwerden ablesen, an der bereits 20 Prozent der Bevölkerung leiden. Prognosen sehen hierbei einen Anstieg auf bis zu 35 Prozent in den nächsten Jahren. Der Bewegungsmangel sei auch ein gesellschaftliches Problem, da über die Hälfte der Bevölkerung über 50 Jahre die Meinung vertrete, Bewegung bringe nichts. Kinder nehmen schlechte Ernährungsgewohnheiten und Bewegungsferne ins Erwachsenenalter mit.
„Unser Leben wird immer bequemer“, erklärt Julia Hagenauer, MSc. BSc., von der Koordinationsstelle für Prävention am Landesinstitut für Integrierte Versorgung (LIV) Tirol. Die Bequemlichkeit habe aber einen hohen Preis, da so Bewegung im Alltag verloren gehe, warnt sie. „Wir müssen schon im Kindergarten und der Volksschule mit der Bewegung ansetzen“, so Hagenauer. Wobei sie für einen integrierten Ansatz eintritt, wie ihn das LIV vertritt, bei dem Ernährung, Bewegung, regelmäßige Vorsorge und Stressmanagement ineinandergreifen.
„Österreich ist bei der Gesundheitskompetenz grottenschlecht und Schlusslicht in Europa“, konstatiert Andreas Huss, MBA, Obmann der ÖGK. Wobei er ein deutliches West-Ost-Gefälle sieht, das sich auch an den gesunden Lebensjahren ablesen lässt. Es sei vor allem in den östlichen Bundesländern notwendig, gegenzusteuern. Um hier entscheidende Schritte weiterzukommen, wolle die ÖGK ihre Ausgaben für den Bereich Prävention von derzeit 1,4 Prozent auf 5 Prozent der Beitragseinnahmen steigern. Der Obmann betonte, dass man bereits konkrete Programme entwickle und auch schon umsetze. So gäbe es bereits ein Programm für adipöse Kinder, für das pro Fall 5.000 Euro in die Hand genommen werden, um bei Eltern und den betroffenen Kindern die Gesundheitskompetenz in Sachen Ernährung zu steigern. „Es ist ein Erfolg, dass nun auch die Zahngesundheit in den Eltern-Kind-Pass aufgenommen wurde und die nächsten Ziele sind, dass auch andere Vorsorgeprogramme aus den Bereichen Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie in diesen integriert werden“, so Huss.
Über die Gespräche und Diskussionen in Alpbach werden wir Sie zeitnah auf dem Laufenden halten. Bilder und Videomitschnitte finden Sie hier und werden laufend ergänzt: https://gesundheitsgespraeche.co.at/mediathek/
Über PRAEVENIRE
Der gemeinnützige Verein PRAEVENIRE – Gesellschaft zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung bietet mit zahlreichen Veranstaltungen, wie den Gesundheitstagen im Stift Seitenstetten, den Gesundheitsgesprächen in Alpbach oder Gipfelgesprächen in Wien und anderen Orten in Österreich, eine unabhängige Plattform, um wichtige gesundheitspolitische Themen und Fragen zur Versorgung zu diskutieren und Lösungsvorschläge sowie Handlungsempfehlungen in Form eines Jahrbuches für die Politik und Entscheidungsträger im Gesundheitswesen auszuarbeiten. Bei allen Überlegungen stehen immer die Patient:innen im Mittelpunkt.
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